2.4 Vier Minus – Kunst

2.4 Vier Minus – Kunst

„Was hast du erwartet“, sagte ich zu Klöpper, „lustige Pennälerdöntjes aus dem Feuerzangenbowle-Stadel? Lausbubenstreiche, Pupskissen auf dem Lehrerstuhl? Anschleimende Angebote fürs verständnisvolle Augenverdrehen der Altvorderen, die sich in die Vorstellung imaginieren, da liefe ihre eigene Jugend ab, was waren wir doch für Racker? Die Nachkriegspädagogik sah halt etwas anders aus. Du weißt, ich könnte dir hunderte romantisch-verklärte Geschichten zusammenphantasieren, zuckrig-verschmierte Episoden. Aber weshalb sollte ich? Mit den Alt-Nazis im Kollegium sockte ein abgehangener brauner Geruch durch die Flure des Gymnasiums. Die Neuen, okay, mit denen frischte sich die miese Luft allmählich auf. Aber das war Jahre später. Nicht die Zeit, von der ich schreibe.“

„Du bist so was von verbittert.“ Klöpper verlegte sich auf Küchenpsychologie. „Da stecken Kindheitstraumata in dir, tief drinnen.“

 

Da wäre noch der Herr Kunstlehrer, Herr Beierlein, von dem ich die Unterweisung von Kunst erhoffte, weil ich die Bezeichnung Kunstlehrer wörtlich nahm. Mir schwebte eine atemberaubende Laufbahn als Michelangelo der Neuzeit vor, als Picasso und Vincent van Gogh in einer Person, preisgekrönt, mit Dauerausstellungen im MoMA und natürlich auf der Documenta. Herr Beierlein sollte der Wegbereiter meiner Kunstkarriere werden.

Um das Wesentliche vorweg zu nehmen: Künstlerisches Schaffen setzt zwingend das Studium des Romans „Die Nackten und die Toten“ voraus, so wie Herr Beierlein es während der Unterrichtsstunden praktizierte. Als Eva Koslowski im Vorbeihuschen einen Blick auf den Buchumschlag warf, fiel sie und war weg.

Bevor Herr Beierlein seine Nackten und Toten aufzuschlagen beliebte stellte er uns eine Aufgabe. Zum Beispiel mussten wir einen Wald malen. Oder einfach nur farbige Flächen. Wir malten und malten und malten, und Herr Beierlein las und las und las. So wird man Künstler, dachte ich und dachte ich und dachte ich. Die Ferien nahten und nahten und nahten und damit die Zeugnisse. Wir mussten unsere Mal-Ergebnisse vor Herrn Beierlein auf dem Boden ausbreiten. Er sah irgendwoanders hin und verteilte Noten unter Geheimhaltung von Begründungen. Mir gab er eine VIER MINUS (das scheint mein Fatum zu sein).

Später, bei der Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie, zeigte ich selbstgewiss meine Mappe vor. Die Jury, so will ich es mal nennen, um das Wort Tribunal zu vermeiden, ein Konsortium aus zerfledderten Visagen und stechenden Augen, steckte die Köpfe zusammen, gab tuschelnde Laute von sich sowie misstrauische Blicke und verhob sich abschließend zu der Frage, ob ich Probleme mit Nackten und Toten hätte und ob ich schon einmal „in Behandlung“ war. Meine VIER MINUS im Zeugnis böte eh keinen Interpretationsspielraum für das „weitere Procedere“. Ich solle es mal mit Germanistik versuchen. Oder mit Chemie. Wenn gar nichts ginge, würde sich noch ein Geschichtsstudium anbieten.

Ich dachte an mein Fatum. An die VIER MINUS, mit der ich abdriftete.

Falls du, Klöpper, dein Gemecker auszubreiten gewillt bist, solltest du vorher einen Blick auf das nächste Kapitel werfen. Es heißt ‚Der Roman 2.5‘ und dürfte deinen Unwillen befrieden.



2.5 Aus dem Zitatenschatz

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