Jahr für Jahr dasselbe Spiel: Gefiederte Sangeskünstler erobern unseren Garten und erfreuen uns mit ihrem Zwitscherkonzert. Getrübt wird das Erlebnis nur vom Gerassel einer Horde Krähen. Und wie jedes Jahr endet mein Bemühen, das Gezwitscher bestimmten Vogelarten zuzuordnen in der Einsicht, dass mir die ornithologischen Werkzeuge nicht in die Wiege gelegt wurden.
Besonders ein Exemplar bringt mich mit seinen Koloraturen auf achtzig. Ich habe ihn Dr. Nix getauft, weil, zu sehen ist von ihm nix. Sobald ich hochgucke, verschwindet er zwischen den Blättern. Hab ich ihn mit meinem Fernrohr erspäht, flirrt er zu einem entfernten Ast und hebt erneut an, die Arie der unentdeckten Erkenntnis zu intonieren. Einmal hab ich seinen hellen Bauch zu Gesicht bekommen, aber da flog er schon wieder weg, der unstete Gesell, und pfiff mir die Strophen Drei bis Neun seines Opus Magnum von hinten links in die Ohren.
Doch diesmal kriegte ich ihn. Mit künstlicher Intelligenz! Ich hatte eine Vogelstimmenerkennungs-App auf mein Smartphone geladen. Aufnehmen, analysieren und … leider hatte Dr. Nix wohl eine Feind-Erkennungs-App implementiert, denn jedes Mal, wenn ich mich in Lauerstellung postierte, verwandelte sich der Vogel in einen Zisterzienser: Er schwieg. Ersatzweise krakste ein rostiges Scharnier dazwischen, worauf die App kundtat, dass das Scharnier eine Dohle sei, die mein Anwesen als Krächzbude missbraucht. Nebenbei: Der Kuckuck, der manchmal den Nachbarn besucht, wurde von der App als Kuckuck identifiziert. Gratulation.
Jetzt trat auch noch die Weibin aus dem Schatten und frug süffisant: »Hat Dr. Nix schon gepfeiferlt?« Na, da war eine kostenfreie Standpauke fällig, aber das Weiberl hatte sich bereits zurückgezogen. Ein Umstand, der Dr. Nix verwirrt haben muss, denn er fing an, übermütig zu tirilieren und präludieren. Die App nahm auf, analysierte und enthüllte, was ich schon immer wissen wollte: Dr. Nix ist eine Mönchsgrasmücke. Geschafft.
Bloß, ging das nicht verdächtig schnell? Ich schaltete die App auf Aufnahme und rief: »Tschilp! Tschilp! Tschilp!« Keine Sekunde später erschien die Auswertung auf dem Display. Dieser Spatz, stand da, ist ein Mensch. Ich ahnte es.
Euer Heinzi
(Friesländer Bote 26.06.2021, letzte Seite)