Gewundert habe ich dann mich über mich selbst. Weil ich mich über andere gewundert habe. Genauer gesagt habe ich mich über das Sichwundern anderer Leute gewundert (puh), und zwar über das Sichwundern von netzaktiven Individuen. Alle naselang hören wir von Betroffenen, die von einem Ereignis überrumpelt wurden, über das sie sich maßlos wundern und sich gar nicht mehr einkriegen können vor Gekränktsein und Entsetzttun und Wehleidigkeit, und die mit blasigen Lippen stöhnen »Wie isses nur möglich« und »Das trifft mich aber persönlich« und »Nie hätte ich gedacht, dass Menschen zu so etwas fähig sind« und was die Jammerlitanei noch alles hergibt.
Von welchen Leuten ich spreche? Von den Opfern asozialer Medien wie Facebook, Instagram, Twitter und Co. Opfern von Hassbotschaften, shitstorms und wüsten Beschimpfungsorgien, dem Mutterkuchen der Algorithmen. Ist hinreichend bekannt. Sollte man meinen. Trotzdem wundern sich Netznutzer, die eine etwas unpopuläre Meinung posten, über das hereinbrechende Wutgewitter. Obwohl seit Jahren vor den Hass- und Hetzkampagnen gewarnt wird. Lesen die Leute keine Zeitung? Wer sich im Netz tummelt, muss damit rechnen, zur Zielscheibe des Packs zu werden. Heh, springt man in eine Schlangengrube und erwartet einen achtsamen Sitzkreis? Geht ein schwarzer Schwuler, um nette Freunde zu finden, zu den Hells Angels? Für die ›völlig überraschten‹ Mobgeschädigten gibt es ja einen einfachen Ausweg: den Account löschen. Dann ist Ruhe im Karton. Gut, auf die Idee zu kommen erfordert … na, mir fällt grad das Wort nicht ein.
Kannst du dir vorstellen, dass auch nur einer dieser Pöbler seinen Sermon aufschreibt, in einen Umschlag steckt und zum Briefkasten fährt, um seinen Buchstabenrotz einzuwerfen?
Warum aber gieren so viele An-und-für-sich-Vernünftige obsessiv nach Aufmerksamkeit in den asozialen Medien und stopfen den Superreichen wie Mark Zuckerberg wie besessen die Taschen voll? Genau dieser Fakt löst bei mir Verwunderung aus. Jetzt musst du kontern: »Der Heinzi wundert sich? Wie das? Er steckt seinen Schreibfinger doch ständig in die Sinnwidrigkeiten menschlichen Mühens.“ Wo du das sagst: Da scheint trotz aller Resignation ein Schimmer Hoffnung in meinem Oberstübele überwintert zu haben. Ein wunderlich Ding das.
Euer Heinzi
(Friesländer Bote, 27.08.2022, letzte Seite)