10 nach 12

10 nach 12

Nicht erst seit der Corona-Pandemie, aber von da an vermehrt werden wir mit minutengenauen Zeitangaben traktiert, deren jede apokalyptischer klingt als die vorherige, als Damokles-Schwert über unseren Häuptern zittert und den baldigen Untergang ankündigt. »Es ist 10 vor 12«, schallt es aus den Lautsprechern der Endzeitbeschwörer, aber schon drängeln sich die Hintermänner nach vorn mit schrillem Pathos: »Es ist 5 Minuten vor 12!« Kaum ist der Schreckensruf verebbt, rollt sein angefüttertes Echo zurück und donnert: »Es ist eine Minute vor 12!« Waren es zunächst die Klimaaktivisten, die uns präzise die Zeit ansagten, so fielen in ihren Chor auch die Virologen und unser Herr Spahn ein mit einer originellen Steigerung: »Es ist 5 nach 12!«, um sich kurz darauf selbst mit der Parole »Es ist 10 nach 12!« zu überholen. Dann der Quantensprung: »Es ist halb Eins!!« Quantensprung ist natürlich Blödsinn. Der Sprung von 12 nach (halb) Eins soll vielmehr den ›Kipp-Punkt‹ verdeutlichen, auf Englisch tipping point. Abgesehen vom Unheil verheißenden Inhalt dieses Begriffs freut es mich, dass sich hier ein deutsches Wort durchgesetzt hat.

Der Kipp-Punkt bezeichnet den Punkt, an dem ein Zustand in einen anderen übergeht ohne die Chance auf Rückkehr. Als Beispiel wird das Abschmelzen des arktischen Meereises genannt. Verwandt mit dem Kipp-Punkt ist der alte Point of no Return, der eine Entwicklung bezeichnet, die nicht aufzuhalten ist, z. B., wenn der Klimawandel nicht mehr zu bremsen ist, egal, wie sehr man dann noch CO2 einspart. Wem die Unterscheidung zu spitzfindig in den Ohren kitzelt, dem bietet unsere Sprache Bilder der Erleuchtung, die uns wieder zum Anfang führen, nämlich zu den Metaphern mit der 12. »Es ist 5 vor 12«: Damit sind Kipp-Punkt als auch Point of no Return in einem einzigen Schlagwort zusammengefasst mit der Botschaft, dass wir Menschen im Mors sind, sofern unsere ›Verantwortung tragenden‹ Politiker weiter herumeiern, sei es beim Klima oder bei der Pandemie. Wem das alles noch zu schwächlich formuliert ist, dem könnte ein anderer 12er-Spruch in den Sinn kommen: Den Verhinderern eins auf die Zwölf geben, damit sie die Warnungen ernst nehmen. Bloß, was nützt die schönste Zwölf, wenn es schon halb Eins ist?

Euer Heinzi

(Friesländer Bote, 11.12.2021, letzte Seite)

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