Wahrscheinlich hatte ich mich verguckt – »du muss dir mal die Augen warten lassen«, sagte die Weibin in unserem Haus, »da gibt es Sonderangebote und tut nicht weh« (man beachte die effiziente Sprachökonomie), aber ich war mir sicher: Auf dem Plakat der Demonstrantin stand ›Wirr sind das Volk‹. Sie lief bei einem Anti-Anti-Diktatur-Spaziergang mit.
»Kann nicht sein«, maulte es neben mir auf dem Sofa zuzüglich der nummerierten Auflistung der Inspektionssarbeiten, die meinen Augen neuen Glanz & Gloria, Scharfsichtigkeit & Pipapo bescheren würden, und das Sofa-Traktat schloss mit dem Resümee: »Wir sind das Volk, so geht das.« Schon klar, mit dem Slogan stellten 1989 die Montagsdemonstranten etwas richtig: Nicht die autoritäre Obrigkeit der DDR verkörperte das Volk, wiewohl der SED-Kader sich als ›Volks‹kammer halluzinierte und die Demonstranten als Rowdies verunglimpfte, daher die ursprüngliche Version: ›Wir sind keine Rowdies – wir sind das Volk‹.
Später, so belehrte ich mein Spiegelbild (ich war zwecks Evaluation meiner Sehstärke in den Flur emigriert), später kolportierte die Pegida die Parole, danach erkoren die Hartz IV-Gegner sich zum alleinigen Volk (»Nieder mit Hartz IV – das Volk sind wir«) und dann die AfD und die Rechtspopulisten und die Ausländerfeinde und aktuell die Impfgegner, Corona-Leugner, Querdenker, Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger. Junge Junge, das wuchert wie Kraut und Rüben, ein Konglomerat aus Hinz, Grunz und Kunz, da fragt man sich: Wer genau ist denn nun das Volk? Und was ist es?
Die Antwort: Wirr. Wirr ist das Volk. Zu diesem Fazit kamen die Titanic und Die Partei. Und auf dem Plakat der Demonstrantin stand genau dieser Spruch. Rätsel gelöst. Aber, rief ich meinem Spiegelbild zu, wie halbherzig ist das denn? Wenn schon wirr, dann richtig: ›Wirr sind das Volk‹. Sind!! Damit bringt man die derzeitige Diktatur ratzfatz zu Fall. Der Slogan besticht durch performative Stringenz (Wow!) und deutet an, was in den Köpfen der Wir-Schreier so dampft und schrumpelt. ›Wirsing das Volk‹ träfe es noch besser, aber das kann ich dem unschuldigen Gemüse wirklich nicht antun (und ein weiteres cooles Fremdwort fällt mir auch nicht ein).
Euer Heinzi
(Friesländer Bote, 29.01.2022, letzte Seite)