Monet und die Vase

Monet und die Vase

Von einem Künstler hatte ich mal gehört, ich nenn ihn mal Adalbert, der hat jeden Tag ein Bild gemalt. Wenn’s weiter nichts ist, höre ich dich nörgeln, ich zum Beispiel esse jeden Tag ein gekochtes Ei, plustere ich mich deswegen auf? Mit deinem Ei, antworte ich, liegst du gar nicht so daneben, man sagt ja: Ein Ei wie das andere, um auf den Mangel von Unterschieden hinzuweisen, ist aber falsch. Das führt uns wieder zu Adalbert. Denn der hatte immer nur eine bestimmte Vase gemalt, sozusagen sein Ersatzei. Jeden Tag eine Vase, macht 365 Vasen im Jahr, in zehn Jahren wirst du meschugge. Nicht so Adalbert. Praktisch ein Gesinnungstäter wie Claude Monet.

Auch der hatte ein bestimmtes Motiv immer wieder gemalt, seinen Teich mit den Seerosen, und die ganze Serie ist unter dem Titel »Nymphéas« bekannt geworden. Nymphéas heißt Seerosen und nicht das, woran du denkst. 250 Nymphéas hat Monet auf die Leinwand gepinselt. Bei einem Teich pro Tag blieben ihm 115 Tage im Jahr für andere Motive, sagen wir für ein Stillleben mit Hering und Gurke. Der Monet ist aber morgens eilig zum Teich hin, und zack haben seine Pinselfinger gejuckt, denn die Seerosen sahen jeden Tag etwas anders aus, das musste fixiert werden für die Nachwelt, sprich fürs Museum.

Dem Adalbert hätte der Hering auch die Suppe versalzen. Mit Suppe meine ich sein Ersatzei, die Vase auf dem Fensterbrett. Auch sie schimmerte jeden Morgen in einem anderen Licht, das kann niemand ungemalt stehenlassen. Ich finde ja, es muss einer recht einfach gehäkelt sein, der feinste Lichtwechsel als entfesselte Daseins- bzw. Malbegründung ansieht, aber vielleicht sind Künstler ja komplizierte Gesellen, die nur vortäuschen, dass sie einfach gedübelt sind, hintenrum aber raffinierte Theorien zum Vasenmalen anstellen.

Andererseits, wenn einer kompliziert gestrickt ist und sich das Naiv-Einfache als Alleinstellungsmerkmal anpappen will, kann er nicht so vordergründig deppert sein von wegen immer dieselbe Vase malen, sondern ein ziemliches Frickelhirn. Um den Sinn dieses Widersinns zu verstehen mach ich einen Vorschlag: Wiederhole ständig das Wort ›Vase‹. Vase, Vase, Vase, Vase, Vase, Vase, Vase … Und? Merkst du schon, wie das Künstlerische an dir ruckelt und juckelt?

Euer Heinzi

(Friesländer Bote, 02.04.2022, letzte Seite)

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