Sprache als Kunst

Sprache als Kunst

»Onkel Paul seine Nichte fährt wegen dem Einkauf nach Netto hin.« Der Satz dürfte Deutschlehrer Tränen in die Augen treiben, insbesondere solchen Vertretern, die von dem Wahn befallen sind, dass es gutes und schlechtes Deutsch gibt, was sage ich, sogar richtiges und falsches Deutsch. Angestachelt von Sprachpolizisten wie Bastian Sick und Co. oder auch von Blockwarten des Gendersprechs ziehen sie den Säbel, wenn sie ein unterlassenes Konjunktiv entdecken, einen verdrehten Satzbau, falsch gesetzte Satzzeichen, grammatikalische Entgleisungen, schiefe Vergleiche und all die anderen sprachlichen Sündenfälle. Gleichzeitig proklamieren die Buchstabenmetzger in dudenrasselnder Besserwisserei, dass Sprache lebendig sei bzw. zu haben sein soll, – oder wie soll ich das grad lebendig ausdrücken? – ein Widerspruch zu ihren eigenen Verdikten, die auf Duden, Regelwerk und Paragrafen verweisen: Wer die Regeln nicht einhält, macht sich kanakverdächtig.

Dabei ist die Grammatik nichts weiter als eine Sammlung von Konventionen der Wortverwendung, anders gesagt, der Gepflogenheiten des Sprachgebrauchs. Dass aus der Beschreibung der Gepflogenheiten ein Sollen, eine zwingende Norm abgeleitet wird, ist ein logischer Fehlschluss, der auch in vielen anderen Bereichen auftritt.

Warum mach ich mir jetzt diesen Hals? Weil ich lange Zeit von diesen beengenden Regeln matt gesetzt wurde. Erst als ich die Sprachzwangsjacke abgeworfen hatte, fing der Sprachspaß, wenn nicht sogar die Sprachkunst an: mit Wortneuschöpfungen, Satzabbrüchen, kuriosen Metaphern, Übertreibungen und immer wieder mit Bildern, die mehr aussagen als jede per Norm einbetonierte Allerweltsfloskel, kurzum mit dem Einzug von Anarchie und Fantasie. Damit einher ging die Toleranz gegenüber Sprachgewohnheiten, die Oberlehrer in den Wahnsinn … aber das hatten wir schon.

Ich plädiere für den kreativen Einsatz von Kartoffel-, Kraft- und Klöterdeutsch immer dann, wenn diese dem höheren Zweck einer Kommunikation dienen, die mehr ist als Subjekt, Prädikat, Objekt. »Onkel Paul seine Nichte fährt wegen dem Einkauf nach Netto hin.« Damit ist gesagt, was gesagt werden muss. Jede Berichtigung ist Schmurkelkrckss.

Euer Heinzi

(Friesländer Bote, 23.04.20

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