Wenn ich Kuscheltherapeutin Susanne recht verstehe, hab ich mein Leben nicht im Griff. »Du hastest,« hämmert sie auf mich ein, »du rennst und rennst, und der Hase, hinter dem du herjagst, ist immer ein Stück voraus, so wie der Igel.« Welchen Hase sie meine, frage ich lebensverwirrt, und wieso der Igel hinter dem Hasen herrenne, ob sie nicht etwas durcheinanderbringe von wegen Hase und Igel, ›ick bün all hier‹ und so. Ach, meint sie unverstört, das sei nur ein Bild, um mir meine Hetzjagd vor Augen zu führen. »Du musst dich entschleunigen«, drängt sie ungeduldig, »Entschleunigung ist das Gebot der Stunde.«
Wenn sie sich da nicht täuscht. Wie ich höre, praktizieren junge Menschen, also unsere Zukunft, genau das Gegenteil, sie beschleunigen. Wenn sie im Internet Filme anwählen oder YouTube-Videos oder Gebrauchsanweisungen (wie pumpe ich mein Rad auf), klicken sie auf ›Wiedergabegeschwindigkeit erhören: 2x‹ und gucken mit doppeltem Pfiff, quasi auf Speed ohne Drogen. Die Bilder flitzen. Nix entschleunigen, sondern das ganze Leben in der halben Zeit durchrattern, keine Leerminuten verschwenden. »So nämlich wird ein Hase draus«, geb ich Susanne zu verstehen, »meinetwegen auch ein Igel.« Susanne seufzt. In Normalgeschwindigkeit. Old School halt.
Haben diese Schnellguckenden und -lebenden dann nicht schon mit 35 ihr Rentenalter erreicht? Wo sie bis dahin immerhin ein ganzes Leben (nach alter Zeitmessung) hinter sich haben? Und muss deren Rente dann halbiert oder verdoppelt werden?
Zurück zum Anfang, zum Wunder der Menschwerdung. Wie man weiß, holen sich die Jungmenschen ihre Sexualkunde aus den Pornofilmen im Internet. Nachdem sie wie gehabt die geschlechtsaktähnlichen Verrenkungen mit doppelter Geschwindigkeit abspielen, kopieren sie das dann in real? Just zu dieser Verrichtung fällt mir eine bestimmte Tierart ein, na, weiter jetzt: Infolge der von den Videos abgeguckten Turbokopulationen müssten die blitzgezeugten Kinder spätestens nach 5 Monaten zur Welt kommen, und dann ab in die Kita, Englisch lernen.
»Klar, und die sterben auch doppelt so schnell«, kontert Susanne spitzzüngig, »damit ist dein Problem der doppelten bzw. halben Rente gelöst.«
Gelöst habe ich auch das Problem der Entschleunigung. Ich spiel Videos einfach mit der halben Geschwindigkeit ab.
Euer Heinzi
(Friesländer Bote, 05.11.2022, letzte Seite)