20. Blutrache

20. Blutrache

Die Blutspur führte über die Stufen des Eingangstreppe in die Praxis des Zahnarztes Diego Fratelli. »Wir brauchen nur noch der Spur zu folgen«, wandte sich Kriminalkommissar Wenzel Stubbe an seinen Vorgesetzten, den Kriminalhauptkommissar Carsten Carstensen, »dann haben wir ihn.« Sie standen auf dem Parkplatz vor der Praxis und nahmen die Personalien des Zahnarztes auf. Dieser hatte die 110 gewählt, war ins Freie gestürmt und ging den herbeigeeilten Beamten nun mit seinen Quengeleien gehörig auf den Sack.

Es war auch nicht klar, wen Stubbe mit »ihn« meinte: den Mörder, den Zahnarzt, die Sprechstundenhilfe Annika Baroch, die Putzfrau Hermine Fangmann (die als sexbesessene Nymphomanin einen guten Ruf in der Stadt führte) oder den Mieter im zweiten Stock des Hauses, den noch niemand gesehen hatte, und von dem es hieß, es gäbe ihn womöglich gar nicht, da sei Steuerbetrug im Spiel, eine sogenannte Leervermietung.

Diego Fratelli hatte jetzt das Thema gewechselt und dozierte über einen ihn belastenden Vaterschaftsbeweis, den er mit einer Gegen-DNA zerbomben und vernichten würde, da würde Lava fließen. Die Lügen der triebgesteuerten Fangmann würde er aus ihren Leisten bohren, so rief er.

Carsten Carstensen stöhnte. Er zog seine Sig Sauer P 6, lud sie durch und schoss den Kanarienvogel vom Fenstersims, der dort seit Sonnenaufgang krakeelte. Dann drehte er die Waffe, so dass der Lauf auf seinen Mund zielte und sog in tiefen Zügen den austretenden Rauch ein. Es war seine Art, sich die Unbill des Tages wegzuschmauchen. Von E-Zigaretten hielt er nichts. »Die stinken wie Opa Suhren nach der Zweite-Weltkrieg-Erinnerungsflatulenz.« Carstensen lachte trocken und rotzte einen versteinerten Kaugummi vor die Füße des Zahnarztes.

Aus den Praxisräumen erscholl ein gellender Schrei. »Der Todesschrei«, nörgelte Wenzel Stubbe. Seine Visage zeigte keinen Anschein einer Erregung. Dem KHK Carstensen, diesem harten Hund, würde das gefallen, Pluspunkte in der Personalakte, Beförderung einen Schritt näher. Stubbe setzte nach: »Könnte von der Witwe Kohlweiser kommen, die sitzt in der Zahnreinigung, und die meckert über alles und jedes. Würde mich nicht wundern, wenn …«

Die Andeutung bezog sich auf das in der Stadt berüchtigte aufbrausende Temperament des Zahnarztes. Wer ihn kritisierte, dem setzte er mit dem Bohrer nach, eine Furie im Weißkitteltarnanzug, und verdammt noch mal, der Bohrer rutschte gern mal vom Backenzahn ab und fräste sich durch das Fleisch hinein in den Knochen, quasi Blutrache. Wer aber wütete jetzt drinnen in der Praxis? Wer war da zugange, wer setzte Fratellis Aufbrausung in die Tat um?

Von dem Gesabber des Zahnarztes bekam Carstensen langsam Gehirnsausen. Er brauchte dringend noch mehr »Stoff«, wie er den Qualm aus dem Pistolenlauf nannte. Stoff, um einen klaren Gedanken zu fassen. Diesmal richtete Carstensen die P6 auf die Schuhe des Fratelli und drückte ab. Na, der Sabbelkopf hüpfte gediegen im Kreis, kreuzte die Beine und vollführte eine Tarantella, die sich gestochen hatte. Carstensen aber inhalierte den Schmauchrauch der Waffe in seine Lungenflügel wie ein Laubsauger, der seinen Hunger auf saftige Herbstblätter stillt. Einen Augenblick lang verschwamm die Welt um Carstensen, dann platzte ein Blitzgedanke unter seiner Hirnrinde, warf ihn fast zu Boden und löste den Fall wie schon die vorhergehenden Fälle.

»Wer es nicht war, wissen wir jetzt«, knurrte Carstensen, »der Fratelli ist raus.« KK Stubbe verzog die Mundwinkel. »Ja was, wer bleibt denn …«, hub er an, Zweifel in Form einer Frage zu sähen, aber da war KHK Carstensen, der alte Wolf, schon auf dem Weg zum nächsten Fall. Unterwegs nahm er einen letzten Zug aus dem qualmenden Lauf der Sig Sauer.

Diesen Tatsachenbericht hat uns der Heimatkrimiautor Hans-Erwin Fuchs zum Abdruck überlassen. Die Namen habe er geändert, und in Wirklichkeit sei der Zahnarzt des Mordes an der Witwe Kohlweiser verurteilt worden. Aber sein Verleger habe ihm eins »g´schissen«, das Ende selbst geschrieben und unter seinem eigenen Namen veröffentlich unter: »Die Zahnseide des Satans – Massaker im Dentallabor«.

Nächstes Mal erzähle ich von der Prozession der gehörnten Studienräte.

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