18. Hurra, der Wanzenmann kommt

18. Hurra, der Wanzenmann kommt

Darauf hatte das Küstendorf Kaltenhaven lange gebibbert und beinahe jede Hoffnung fahren lassen. Aber dann hatte Bürgermeister Christian Woltersleben alle Register gezogen, um Auftritt und Wandlung des berühmten Magiers an Land zu ziehen. Steuergelder wurden verschwendet, der Gewinn der Tombola für kurzundkrummbeinige Hafenveteranen wurde in eine schwarze Kasse umgeleitet und der Frontwagen des Karnevalumzuges beschlagnahmt, von Restauratoren entschimmelt, ausgemistet und von kulturellen Aneignungsresten (Indianerfedern, Sambaröckchen) bereinigt. Kantor Ephraim Nettelbeck hatte eine Empfangshymne komponiert zu einem Text des Heimatdichters Gregor Fuseler, der da lautmalerisch jubiliert:

Hurra, hurra,
der Wanzenmann kommt.
Er wird uns wanzen
wird uns ins Trauma tanzen
und Wanz für Wanz
dem treuen Christianz (Reim auf Wanz)
die güldne Mon-
die Mon-Mon-Stranz
(Tusch in D-Dur, dreifaches Hoch)

An dieser Stelle versiegte der lyrische Schaffensquell des Gregor Fuseler. Der Tusch hatte ihn aus dem Konzept gebracht, und so sehr er sich auch mühte und Buchstaben kombinatorisch zusammensetzte, er fand die Worte nicht mehr. Fortan dichtete er nur noch mit Zahlen und Büroklammern und widmete sich nach getaner Reimarbeit der Vertilgung seines selbstgebrannten Schnapses ›Fuseler Darmbrandbeschleuniger‹.

Zurück zum Jahrhundertereignis: Um die Peinlichkeitspause zu übertönen, ließ Kantor Nettelbeck seine Fäuste wie ein Horde Kängurus auf den Tasten der Kirchenorgel steppen, oben auf der Empore. Unten, um das Taufbecken gedrängt, skandierte der Witwen- und Wöchnerinnenchor frenetisch: »Hurra, der Wanzenmann kommt, hallelujah!«

Na, da ließ sich der Wanzenmann nicht lange bitten. Er sprang herbei, spritzte Taufwasser über die geneigten Schädel der Gläubigen und wanzte hernach wie ein Derwisch durch die Gassen des Dorfes, verwanzte die Laken der Frischverheirateten, besprang die Witwe Eisenhauer, die sich fortan Wanzenhauer nannte, und als die Dunkelheit sich über das Hafenbecken senkte, stieg der entkräftigte Wanziator ins trübe Wasser, um sich abzuwanzen.

Wenn heutzutage die Veteranen dem ›Fuseler Darmbrandbeschleuniger‹ genügend Ehre erwiesen haben, kommen sie ins Schwärmen und erzählen vom legendären Wanzfest. Ohne den Wanzenmann, sagen sie, hätten sie nicht gewußt, was sie ohne den Wanzenmann hätten tun sollen. Sie stutzen kurz, aber dann übernimmt der Fusel wieder das Kommando.

Nächstes Mal erzähle ich von dem K-Loch und dem Brunner.

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