22. Die Knöllchen der Koslowskis

22. Die Knöllchen der Koslowskis

Das Ehepaar Koslowski, Griseldis und Hergen, hatte von frühmorgens bis abends damit zu tun, Knöllchen zu verteilen. »Es geht nicht an«, sagte Griseldis, »dass Fremde in Kaltenhaven eindringen und die Parkplätze besetzen zum Schaden der Einheimischen.«

»Es geht nicht an«, antwortete Hergen. Er bevorzugte bei seinen Antworten die Wiederholung des Vorhergesagten. Da kann man nichts falsch machen.

Die beiden bewohnten ein kleines Einfamilienhaus, einem Siedlungsbau aus der Nachkriegsära. Den ehemaligen Schweinekoben hatten sie zur Werkstatt umgebaut. Hier malte Griseldis mit einem Filzstift den Bußgeldtext auf die leeren Rückseiten von alten DIN-A-4-Schriftstücken. Jeden Bogen unterteilte sie in vier Partien. Vier Abschnitte, vier Bußgeldtickets: 5-€, 10-€, 15-€, 20-€. Wenn sie mit einem Bogen fertig war, knallte Hergen mit einem selbstgeschnitzten Stempel das behördliche Siegel drauf: »Polizeiliche Maßnahme«. Fertig war das Offizialdokument. Mit den akkurat ausgeschnittenen Zetteln bewaffnet begaben sich die Koslowskis auf Verkehrssünderjagd.

Vor dem Finanzamt, aus dessen Kellerfenstern rotes Licht, Fahrstuhlmusik, schwere Patschuli- und Moschusdüfte und unterdrückte Schreie drangen, schlugen sie als erstes zu. Sie klemmten ihre Bußgeldbescheide unter die Scheibenwischer der wild durcheinander geparkten Autos, da waren sie schon mal ein Dutzend los.

Vor dort aus ging es zum Rathaus, wo sie den SUV des Bürgermeisters Christian Woltersleben umringten. Der Großkotz meinte wohl, er habe das Recht, seinen Wagen einfach so auf dem Gehweg zu parken. »Dem verpassen wir eine saftige Strafe«, sagte Griseldis. Hergen zog ein 20-€-Knöllchen aus der Tasche und meldete: »Dem verpassen wir eine saftige Strafe.«

Weiter ging es. Als Griseldis zufällig einen Blick auf die Nelken-Apotheke warf, rief sie: »Aha. Da schau her. Man glaubt es nicht.« Hergen folgte ihrem Blick und sagte: »Aha. Da schau her. Man glaubt es nicht.« Ein Medikamentenlieferwagen hatte die Einfahrt zum benachbarten Schuhgeschäft Lammers blockiert. »Da wird ein 15er fällig«, sagte Griseldis. »Da wird ein 15er fällig«, sagte Hergen.

Hier unterbreche ich die Geschichte, weil Einwände eintrudeln. Es ploppen E-Mails auf, die mäkeln: Zu einer Gute-Nacht-Geschichte gehören Tiere. Wo bleiben die lieben Tiere? Der zottelige Hund, schon vergessen? Der treue Gesell, der das Baby rettet, welches in den Gartenteich gefallen ist. Der die Großeltern aus den Schlaf bellt, weil die Suppe auf dem Herd brennt. Überhaupt Großmutter: Wieso kein Wort zur Märchenoma, die warmherzig die Enkel bei sich auf dem Lande aufnimmt und ihnen die Freuden der Natur zu Gesicht und Gehör bringt (Kirschbaumblüte, Keuchhusten, Kuhfürze, Kartoffelpuffer mit Apfelmus etc.).

Warum tobt hier keine glückliche Patchwork-Familie, die zusammen (25 Personen) in den Urlaub nach Italien fährt und lustige Abenteuer und Selbstfindung erlebt (mit den Dorfschönen rudelficken, morgentliches Gemetzel vor der einzigen Kloschüssel, Kakerlakenbefall).

Geduld, liebe Leser. Denn die Koslowskis werden in Kaltenhaven als Magnet für Feriengäste hochgeachtet. Betroffene Touris wedeln erbost mit den Papierfetzen, rotten sich zusammen und marschieren zur Polizeiwache. »Knöllchen?«, rufen sie , »das ich nicht lache.« Sie drohen mit Anwälten, aber ihnen vergeht das Lachen, sobald sie Wachtmeister Lehmann ansichtig werden, den legendären dicken Lehmann, der mit dem Knüppel schwingt. Von dem haben sie schon einiges gehört, oha, wie kommt man bloß raus aus der Nummer.

Unter den Kaltenhavenern schwillt ein Gelächter an, ein Gelächter, das bis ins Polizeirevier dringt. »Alles nur Karneval«, schreit Griseldis. »Alles nur Karneval«, echot Hergen. »Alles nur Karneval«, brüllt Wachtmeister Lehmann und schüttelt sich.

Die Verwarnten ziehen zunächst die Stirn kraus vor Unmut und Scham, aber dann fallen sie ins Gelächter ein, ach, wie dumm haben sie sich doch angestellt. Kaum ist das Lachgewitter verebbt, zieht die gesamte Gemeinde zum Gasthof »Goldener Frosch« und unterzieht sich einer schweren Prüfung, dem Fusel-Abitur. Es gilt, den Selbstgebrannten des Heimatdichters Gregor Fuseler, den berüchtigten »Fuseler Darmbrandbeschleuniger« auf ex hinunterzustürzen.

»Auf ex«, sagt Griseldis.

»Auf ex«, antwortet Hergen.

Was sagst du jetzt, lieber Leser (abgesehen von »Auf ex«), ist das nicht eine prima Gute-Nacht-Geschichte geworden?

Nächstes Mal erzähle ich von dem schon erwähnten Lehmann, der mit der Knüppel schwingt.

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