Theophrast, der Bauchnabelpfeifer von Kaltenhaven, hatte eines nachts eine Vision. Er sah sich im Triumph in die Stadt Hameln einmarschieren und den berühmten Rattenfänger gehörig eins zwischen die Rippen zwitschern. Theophrast fuhr schweißnass aus den Laken, warf die Zudecke zu Boden und presste einen Trillerton aus seinem Bauchnabel, der die Mäuse von den Wänden purzeln ließ. Dieses Erlebnis festigte seinen Entschluss, dem Rattenfänger den Schneid abzukaufen und ihn vor aller Augen zu demütigen. Den Plan dazu meißelte er auf eine eherne Tafel, die er dem Bürgermeister von Hameln, Mijnher van der Rostkanne, per Kutschenkurier zusandte.
Wie der Leser bemerkt haben dürfte, überschlagen sich diese Ereignisse in einem mittelalterlichen Geschichtssektor, als weder Transformatoren, Transvestiten, die Transsibirische Eisenbahn noch sonstiges Transgedöns den Menschen um den Verstand brachte. Schon gar keine Smartphones.
Zwei Wochen später ließ sich Mijnher van der Rostkanne, Spitzname Rostpott, vorlesen, was die Runen auf der ehernen Tafel an Plaisir so hergaben.
»Der Theophrast …«, begann der Vorleser
»Wer ist dieser Theophrast?«, unterbrach Rostpott.
»Nun Mijnher, der Theophrast wird in unseren Grabinschriften geführt als der Bauchnabelpfeifer von Kaltenhaven.«
»So lebt der Beschriebene gar gar nicht mehr?«
»Es ist so, dass, wenn der Grabinschriftenschriftsteller, unser guter Baldur …«
»Mein Gott, mach er weiter, sonst füsilier ich ihm den Hintern.« Rostpott konnte sehr ungehalten werden.
»Meine Seel wollt noch anzumerken belieben …«
»Verdammter Schriftenglotzer, mach hinne, draußen vor dem Rathaus heult die Meute der Kinderlosen und wirft mit Gedärm.«
Hierzu eine Erklärung der Sachstände:
Wie bekannt sein dürfte, hatte der Rattenfänger von Hameln mit dem Gedudel auf seiner selbstgeschnitzten Blockflöte alle Ratten aber auch alle Kinder der Stadt mit sich fortgelockt, so belämmert waren Ratt und Kind von dem Gezirpe. Wer soll jetzt unsere Schuhe putzen, kreischten die Bürger von Hameln und verfluchten das blöde Märchen.
Zusatz zur Erklärung der Sachstände:
Schuhe putzen? Hallo, wir stecken hier im Mittelalter, und das meint: Kinderarbeit von früh bis zur nächsten Früh. Hameln hatte die Kinder in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine musste Schuhe putzen, die andere zog auf die Felder, um Rüben zu suchen.
Ende des Zusatzes zur Erklärung der Sachstände.
»Theophrast, Sackdudelpfei .. also Bauchnabelpfeifer von Kaltenhaven, bietet sich an«, fuhr der Vorleser fort, die Botschaft zu übermitteln, »mit seinem Bauchnabelpfeiforgan die Kinder und die Ratten zusammenzupfeifen und wieder zurück nach Hameln zu immigrieren. Ha, dann könnt ihr auf euern stadteigenen Rattenfänger scheißen!«
Nachdem Mijnher van der Rostkanne das Wort immigrieren im Duden nachgeschaut hatte, verflog sein böser Verdacht. Im Gegenteil. Er riss das Fenster seiner Ratsstube auf. Unten auf dem Parkplatz für die Kutsche ging ein Grollen durch die zusammengerottete Menge der Kinderlosen.
»Hört hört«, schrie Rostpott über den Platz, »es steigt die Sonne auf zur glorreichen Verheißung. Ein Bauchnabelpfeifer aus Übersee wird kommen und uns die Kinderlein und die Ratten zurückbringen.«
Da ging ein Raunen durch die Menge. »Endlich werden die Schuhe wieder geputzt. Und es wird wieder Rüben geben. Und Rattensuppe mit Meerretticheinlage, Kardamon, Worcestersoße und den grindigen Pickeln der Jungfrauen. Hoch lebe der Bürgermeister. Rostpott! Rostpott! Rostpott!«
Und so kam es. Theophrast holte tief Lust, sog seine Lungenflügel und seinen Bauch voll mit kohlenrußgeschwärztem Qualm und presste das Konvolut mit 20 (oder mehr) Atü wieder heraus, raus aus seinem Bauchnabel, der daraufhin, sagen wir es ruhig, die schönste Pfeiferei tirilierte, und da nahten sie schon, die Kinder und die Ratten. Ein Tross der Willigen und Benebelten, und sie zogen hinter dem furchtbaren, will sagen, gräßlichen, na na na, schönsten Bauchnabeltönen her, wateten durch eine Furt der Weser und sickerten schließlich in die Gassen von Hameln.
Alles war gut. Schuhe wurden wieder geputzt und Rüben gesucht. Kaltenhaven diente sich Hameln als Partnerstadt an (und beklagte noch jahrzehntelang einen Kinder- und Rattenmangel sowie schietige Schuhe und Hunger wegen einer Rübenfäulnispest, das muss man leider zugeben).
Und der Rattenfänger von Hameln? Der hat sich selbst in den Arsch gebissen und ist an Blutvergiftung dahingegangen. So überliefern es die Alten.
Nächstes Mal erzähle ich von wehrhaften Grübelmonstern.