Das Tier im Wappen Kaltenhavens geht auf eine Sage zurück, die in verschiedenen Versionen in der kleinen Küstenstadt kursieren. Im Rathaus wird eine offizielle Version gepflegt und weiterverbreitet, aber darüber streiten sich die Alteingesessenen. »Die Phantasie von Bürgermeister Christian Woltersleben hat mal wieder Purzelbäume geschlagen«, bekräftigen sie gegenseitig ihren Verdacht, ziehen einen Fingerhandschuh über die Hand und klatschen sich ab, ein Ritual, das nur dieser einen Gelegenheit vorbehalten ist.
Davon lässt sich Bürgermeister Christian Woltersleben nicht beeindrucken. »Unser Wappentier«, ist er nicht müde, auf Empfängen zu verkünden, so auch beim Neujahrsempfang der Neubürger, »hat unsere Stadt in grauer Vorzeit vor einer mordenden und blutrünstenden Soldateska bewahrt, durch mutiges Dreinhauen und Köpfeabschlagen und überhaupt, ein Hoch auf unser Wappentier.«
Er fügt noch hinzu, dass der Invasor Häupling Klumpfuß auf seiner Flucht seinen Hut ins Plumpsklo der Kräuterfrau Malwine geworfen habe, worauf diese das Hütige Laichwasser rezeptiert und gekocht habe. In der Annahme, durch diesen Trank könne man übernatürliche Kräfte entwickeln und Kaltenhaven im Handstreich nehmen, habe der Klumpfuß sich einen Liter des Hütigen Laichwassers besorgt und einverleibt und sei fix daran krepiert. Den Hut könne man unten im Keller des Rathauses besichtigen, Eintritt mehrere Euro.
Unten im Saal kommen die Neubürger ins Grübeln. Dieser Frosch im Wappen der Stadt, golden angepinselt vom Azubi des Malerfachbetriebs Jureck, soll allen Ernstes das Schwert geschwungen und die rauhbeinigen Strolche des Nachbarhäuptlings Kasimir Klumpfuß zur Strecke gebracht haben? Nee, nee, nee.
Bürgermeister Christian Woltersleben lässt nicht ab von seiner Erzählung. »Es war doch so«, ruft er und speichelt die Haarspange der Neubürgerin Giselle Schwarmbuttel ein, »unser Verteidigungsfrosch, übrigens mit dem Namen und Ehrentitel Frauke von derer zu Frohgemut ausgezeichnet, da sieht man just jetzt, dass es sich um eine Fröschin gehandelt hat, die, nach heutigen Transformationsvorschriften auch einen Doppelnamen hätte führen können sogar ohne Bindestrich, Fröschin Frauke also …«
Aus dem Publikum der Neubürger kommt ein Zwischenruf. »Muss die Traditionsgaststätte Goldener Frosch demzufolge nicht umbenannt werden in Goldene Fröschin, damit die Ordnung wieder hergestellt wird?«
Darauf reagiert seine Nachbarin mit einer Spitzfindigkeit: »Welche Ordnung meinen der Herr denn, die Ordnung zweiten Grades oder was oder wie?«
Scheiße, denkt Bürgermeister Christian Woltersleben, hier geht es zu wie im Schweinekoben bei Bauer Ferdi Jabusch, eine Sau quiekt lauter als die andere, jedes Jahr dasselbe, lauter Schlaumeier und Besserwisser.
Einer der Neubürger meldet sich wie ein Schüler, der Klassensprecher werden will. »Eine Fröschin, die die Horden des Kriegsverbrechers Klumpfuß in die Flucht jagt? Hallo? Darf gelacht werden?«
Im Saal weiter hinten unterbricht ein Knackgeräusch das Genörgel. Ein Neubürger hat seinem Nachbarn, ebenfalls Neubürger und Besserwisser, den Arm gebrochen.
Jetzt wollen alle Neubürger nach vorn, um ihre Meinung zum Wappentier von Kaltenhaven loszuwerden und um Arme zu brechen, das knackt so schön. Plötzlich stocken sie, erstarren, horchen. Die Kirchturmglocke läutet. Die 12. Stunde! Höchste Zeit, sich auf die Socken zu machen zu diesem legendären Phänomen, dem Sprechenden Hans. Bürgermeister Christian Woltersleben atmet tief aus. Er hätte die Geschichte von der ruhmreichen Fröschin Frauke von derer zu Frohgemut ohnehin nicht mehr zusammenbringen können.
Nächstes Mal erzähle ich die Fortsetzung des Vorherigen.