31. Die Fortsetzung des Vorherigen

31. Die Fortsetzung des Vorherigen

Die Neubürger hatten den Gemeindesaal verlassen, um dem Wunderwirken des legendären Sprechenden Hans beizuwohnen. Zurück blieben Bürgermeister Christian Woltersleben und die Ratsfrau Juliane Semmelweis, die vor dem Treppchen zum Podium zu ihm aufschaute. Der Ehrgeiz der Ratsfrau erschöpfte sich darin, zu jedem Auftritt des Bürgermeisters herbeizueilen und ihm wohlgesinnte als aus liebestrunkene Blicke zuzuwerfen. Den eigentliche Beweggrund aber versteckte sie hinter ihren Anschmachtoffensiven und ihren Glutaugen: Sie hoffte auf den Sitz als stellvertretende Bürgermeisterin im Stadtrat. Dafür würde sie alles hergeben, sogar ihr letztes Hemd, und bei dieser Vorstellung durchfuhr sie ein Rieseln und Schütteln und Durchbluten ihrer Gesichtsäderchen.

Missmutig ließ Bürgermeister Woltersleben die visuellen Glutnester dieser Person an sich abprallen. »Es ist doch so«, rief er in den leeren Saal, und dazu muss erwähnt werden, dass er die Einführungsfloskel ›Es ist doch so‹ immer dann zur Anwendung brachte, wenn ›Ungemach vom Himmel jaucht‹, wie Woltersleben in seiner berühmt-berüchtigten Bildersprache daherdeklamierte. Juliane Semmelweis, von der Kraft der Einführungsfloskel hin- und hergerissen, lockerte ihren Dutt und ließ ihr Haar verführerisch über ihre Schultern fließen.

»Denn Tatsche ist«, setzte Woltersleben ungehalten fort, »die goldene Fröschin in unserem Stadtwappen muss als Substitut betrachtet werden für die, ja da staunen sie nicht schlecht, meine Herrschaften, Jeanne d’Arc von Kaltenhaven, quasi eine Heilige im Gewand der Tarnung.«

Juliane hatte ihre Jacke ausgezogen und nestelte an den Knöpfen ihrer Bluse.

»Gemach, gemach, verehrtes Publikum«, erstickte der Bürgermeister den vorhersehbaren Ansturm der Einwände im Keim ihrer Geburt, »nicht etwa im Tarnkleid einer Fröschin, wiewohl das naheliegen mag. Nein, die aus dem Osten herbeigereiste Wanderhure Frauke Fröhlich stand frank und frei zur Verfügung, und der damalige Vogt von Kaltenhaven, Achilles Eisenstein, verstand es mit List und einfühlsamen Worten, die Hure, das heißt die Jeanne d’Arc von Kaltenhaven, im Gewand einer frömmelnden Ziegenhirtin in die feindlichen Reihen einzuschleusen. Den Grund dazu konnte er nicht benennen, Fragen dazu wurden mit dem Schwert beantwortet.«

Ratsfrau Juliane Semmelweis tat, als sei sie geschockt. Sie signalisierte mit der Hand einen Redebeitrag, so wie es auf Ratssitzungen üblich war.

»Ja bitte?«, ermunterte Woltersleben die seltsame Frau unten vor dem Podium. Ein Schimmer der Erinnerung sickerte langsam in sein Hirn: War er nicht mit der Dame, deren Name ihm partout nicht einfallen wollte, einmal auf ein Hotelzimmer gezogen, um die Kosten für die neue Sporthalle zu erörtern?

»Nur zu«, lächelte er Juliane an, und er konnte sich die Namenlose gut als stellvertretende Bürgermeisterin vorstellen. Diese verdammten Neujahrsempfänge könnte sie dann übernehmen, und er wäre fein raus.

»Denkbar ist«, sprach die Semmelweis, »dass die Wanderhure Frauke Fröhlich den Tripper in die Soldateska des Kriegshäuptlings Klumpfuß getragen hatte, und aus war es mit deren Kampfeskraft. Die Häscher lagen darnieder. Klumpfuß, ein paar unversehrte Veteranen um sich geschart, sah sich in der prekären Situation, einen Deal anzubieten, und das bedeutete, seine waidwunde Truppe zurückzulassen, dem Feind zum Fraß vorzuwerfen, um sich eine Vorsprung auf seiner Flucht zu verschaffen. ›Diese Kröte musste ich schlucken‹, verteidigte er sich zuhause vor den aufgebrachten Ehefrauen und Müttern mit dem Ergebnis, dass ihm der Strick um den Hals gelegt wurde.«

Bürgermeister Woltersleben nickte wohlgefällig zu Julianes Ausführungen. Diese smarte Person hatte es faustdick hinter den Ohren. »Und aus der Kröte«, leuchtete es in seinem Gesicht auf, »wurde im Lauf der Jahrhunderte eine Fröschin, die, nachdem sie mit Goldwasser auf den Namen Frauke von derer zu Frohgemut getauft wurde, als goldener Frosch in das Stadtwappen von Kaltenhaven einzog.«

Eine Last fiel von den Schultern des Bürgermeisters. Mit dem gerissenen Weib da unten würde er noch die Finanzierung des Öffentlichen Nahverkehrs besprechen müssen.

Nächstes Mal erzähle ich von den Titteleiern und dem Nirvana

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