Eine Fotoexkursion
Das ur-dangastische Folk am Jadebusen verweist mit schäumenden Lippen darauf, dass Dangast als Künstlerdorf einen internationalen Rang belegt, quasi ein Worpswede im friesischen Schafspelz (s. Ein Tag in Worpswede). Gleichzeitig putzen dieselben Insassen ihren Ort mit dem Prädikat ›Fischerdorf‹ auf. Offiziell trägt Dangast den Titel ›Nordseebad‹.
Ja wat denn nu?
Ich begebe mich mit meiner Kamera auf die Suche nach der Dreiheiligkeit von Kunst, Brathering und Badesalz. Noch bin ich nicht im Ortskern, da raunt es rauschhaft schon vor verzückter Selbstzeihung: Fremder, tritt kühnen Schrittes ein in die „Begehbare Künstlerbiografie“ Radziwill (O-Ton ebd.), einer nicht gerade kleinlauten Parallele (oder eher Parodie?) zum begehbaren Künstlerabort in Worpswede (s. Ein Tag in Worpswede) – – oder ist’s umgekehrt? Na wie auch immer, hier erwarten den willigen Begeher keine schlangenfauchenden Kachelwände in Weiß & Unschuldig, sondern ein gefälliges Arrangement aus Schildern, Pfosten, Tafel, Fahne, Laubwerk und nicht zu vergessen: Begehbarkeit.

Noch zeigen sich keine Künstler (und Herr Radziwill hat längst die Ewigkeit geschaut). Vermutlich sind sie schwer am Rackern in ihren verstopften Ateliers, denn die kargen Künstlerbrosamen wollen erpinselt sein. Also rasch weiter zum Kern des Ortes. Überraschung Numero 2: Wo in Worpswede ein Parkplatz als Ziel & Lebensmitte sich elegisch ausbreitet (s. Ein Tag in Worpswede), überrascht Dangast den Nichtsahnenden (Kinnherunterklapp) mit einem wuschigen Campingplatz. Ein Eyecatcher, derzeit verwaist, dafür begehbar und deshalb Kunst (Biografie?) oder sowas: Respekt!

Ich frage einen Vorbeischlurfenden: „Wo sind die Künstler?“ Antwort: „Ich bin nicht von hier.“
Ich trete zu einem Herrn mit einem Fernglas: „Wo bitte schön finde ich die Fischer?“ Antwort: „Wenn ich von hier wäre, könnte ich es sagen, so aber …“
Ich frage zwei Frauen mit Regenschirmen: „Wo treffe ich die, die von hier sind?“ Betrübt kehren sie mir den Rücken zu und granteln: »Wir sind auch nicht von hier.«

Rechter Hand führt ein begehbarer Pfad vom Camping weg, und da, hinter Büschen erglänzt, was Dangast einzig & allein macht: die Künstlerkolonien. Hinter diesen Mauern also pulsiert das Leben voll von Quasten & Pinseln, feuchten Farben & klammen Hosen, Maskeraden & Scharaden, Manifesten & Protesten, durchgeorgelten Feten im Rausch visionärer Maßlosigkeiten und überhaupt allem, was ich mir unter einem Künstlerleben vorstellen kann, Mannomann.


Unweit davon ducken sich geduckte Fischerkaten Reih an Reih (Fischerkaten sind immer geduckt; allen Fischerkaten ist das Geduckte zu eigen; sollte jemand auf eine nicht geduckte Fischerkate stoßen, so ist es keine Fischerkate, denn diese hat geduckt zu sein; die Heimatliteratur spricht ausschließlich von der Geducktheit bzw. dem Geducktsein von Fischerkaten, erwähnt allerdings auch geduckte Torfstecherkaten, in die, wie der Name sagt, keine geduckten Fischer eingewiesen wurden zwecks Darbietung von Folklore und ausgezehrter Leidensmiene, sondern geduckte Torfstecher, die auch nichts zum Lachen haben außer Schubkarren, Pökelsocken, krummen Rücken und Holzschuhtänzen während der Saison – nachher Hartz IV).



Schritt für Schritt stoße ich auf Zeugen von Künstlertum und Fischereigewese. Sieh nur dort, eine begehbare Inszenierung mit Kunsttafel, Kunstsitzbank und Kunstrohren.

Anlandig im Watt wiederum dümpelt ein Fischerkahn, ehrlos verlassen von seinem Schiffersmann, der sich vermutlich den Köm hinter das Friesenhemd kippt drüben in seiner geduckten Fischerkate, wo die wässrige Aalsuppe auf dem Torffeuer schmurgelt und die Fischerskinder hungern und hoffen, dass dicke Granteltanten, die nicht von hier sind, einen Taler in die Reuse werfen. Oder wenigstens einen mitleidigen Blick.

Einen Armutsbericht weiter wird der Besucher zu einer Aussichtsplattform geführt. Von hier aus flackert das unstete Auge über das Wasser, bis es bei einer Figur Halt & Heimat findet, einem Kunstwerk allzumal (ja was denn), eine Skulptur, diesmal nicht gestiftet von der Deutschen Bank. Auch nicht vom hiesigen Edekaladen. Schon gar nicht vom Fischer Cassens, denn der hat selbst nichts auf dem Hemd als Kömflecken und Hungergören. Und ob du es glaubst oder nicht, niemand fragt nach, nicht die, die nicht von hier sind, auch nicht die, die von hier sind, aber nicht hier sind.

Noch ein Environment, das Ensemble ›Gemütlichkeit‹ (begehbar).

Meine Kamera klickt und klickt:





Genug der Ausbeute! Zwar bin ich weder einem Künstler noch Fischer begegnet, dafür aber bevölkerungsähnlichen Individuen, die nicht von hier sind. Trotzdem: Leute, die von hier sind, wähnen sich nicht zu Unrecht (siehe Fotobeweise) in einem Künstler- und Fischerdorf. Sie nennen es Dangast.
Ein Gedanke zu „Ein Nachmittag in Dangast“